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Meine Abenteuer beim Übersetzen, 12: Ich war abermals gläserne Übersetzerin

Vor einem Jahr habe ich behauptet, mich schon auf den nächsten Hieronymustag zu freuen. Das war sicher auch ehrlich gemeint, aber dann passierte immer so viel und ich hatte den Hieronymustag fast ganz vergessen. Doch plötzlich war er da … Mein Löwe allerdings wirkte seit einigen Wochen schon ungeheuer unternehmungslustig, starrte mich vorwurfsvoll an, wie um zu fragen: „Geht es denn noch immer nicht los?“ Ich hätte nicht gedacht, dass ein Stofftier vorwurfsvoll kucken kann, aber dieser hier kann.

Hieronymustag 2016 in Hamburg
Mein letzter Moment der Konzentration

In diesem Jahr sollte ich in Hamburg gläsern sein, und diesmal war ich nicht allein. Es gab drei Paare von Übersetzerinnen, je eins für Norwegisch, für Finnisch, für Schwedisch. Tatort: die Bücherhallen am Hühnerposten. Irgendwo stand was von „Der große Skandinavienbattle“, was uns entsetzlich peinlich war, denn wir hatten ja vor, kollegial miteinander umzugehen und überdies ins Deutsche zu übersetzen, aber zum Glück verlangte dann niemand von den Zuhörenden, Blut zu sehen oder Englisch zu hören oder was auch immer. Das Prinzip: Die gläsernen Übersetzerinnen sitzen sich an Tischen gegenüber, jede vor einem Laptop, und übersetzen erst mal, das Publikum sieht auf der Leinwand, was sie schreiben, in der Mitte ist der Originaltext zu sehen.

Es hörten interessante Leute zu – eine lustige Finnin, die sich lauter Vorschläge für andere Übersetzungen machte und sich dabei kringelig lachte, eine ungarische Übersetzerin, die aus dem Norwegischen übersetzt, vom Schicksal aber nach Hamburg verschlagen worden ist, und die uns nachher interessante Dinge über die Literaturszene in Ungarn erzählen konnte, natürlich auch der archetypische Herr mittleren Alters, der alles besser weiß und unbedingt seine Kommentare loswerden muß, ob sie nun mit dem Thema zu tun haben oder nicht.

Hieronymustag 2016 in Hamburg
Christel führt ins Geschehen ein
Hieronymustag 2016 in Hamburg
Unser Text

Ich war beim ersten Duo dabei, zusammen mit Christel Hildebrandt, die den Text ausgesucht hatte, zwei Seiten aus einem Roman von Lars Saabye Christensen. Christel übersetzt den Roman (wird bei BTB erscheinen, deutscher Titel steht noch nicht fest), ich dagegen kannte nur die beiden Seiten und konnte mit Übersetzen erst mal nicht anfangen. Da wird nämlich gleich im ersten Satz jemand angeredet, und im Norwegischen ist an dieser Stelle nicht zu sehen, wer denn angesprochen wird. Es gab drei Möglichkeiten: „Lasst mich das sagen“, „Lass mich das sagen“, „Lassen Sie mich das sagen“. Aus den zwei Seiten ging es auch nicht hervor. Aus purem Trotz schrieb ich dann „Lassen Sie mich das sagen“. Die Zuhörenden konnten daran sehen, wie wichtig es ist, das Buch zu kennen, das man übersetzt, und vor lauter Aufregung vergaß ich am Ende, zu fragen, wer denn nun angeredet wird.

Nach uns kamen die Finnischübersetzerinnen Dagmar Mißfeldt und Angela Plöger, sie hatten einen Auszug aus einem Roman von Katja Kettu,(„Wildauge“, bei Ullstein), in dem eine Hebamme erzählt, woher sie ihr Wissen hat. Das hat sie von einer weisen Frau, die bei einer samischen Noaidin gelernt hat, und deshalb weiß sie auch Zauberformeln, mit denen z.B. Wunden besprochen werden, damit sie aufhören zu bluten. Also lauter Dinge, für die man das Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens gebraucht hätte, um die genau richtigen Übersetzungen zu finden, aber dieses vielbändige Werk schleppt man ja nicht so einfach mit sich rum. Und ob die Cocornispritze, die die Hebamme ebenfalls erwähnt, so heißt, weil sie von einem gewissen Cocornus erfunden worden ist, oder weil sie gebogen ist wie ein Horn (lateinisch cornu), ist weiterhin ungeklärt.

Das Ende waren dann die Kolleginnen vom Schwedischen, Maike Barth und Renate Bleibtreu, die einen Dialog von Ingmar Bergman übersetzten. Zwei Frauen treffen sich, sie hatten beide was mit demselben Mann, aber der ist jetzt tot. Sie begegnen sich zum ersten Mal, und entsprechend geladen ist die Stimmung. Und hier fanden wir ein ganz neues Problem – im Schwedischen gibt es keine Verkleinerungsform, kein Hänschen klein oder so. Wird also jemand als „eigenwillige kleine Person“ bezeichnet, könnte man auch „eigenwilliges Persönchen“ schreiben. Wo ist der Unterschied in der Bedeutung? Sollte man es vielleicht lieber lassen?

Mein Löwe saß während des ersten und zweiten Teils brav auf dem Tisch und wirkte sehr zufrieden. Dann ging in der Pause ein Kerl an dem Tisch vorbei, hob den Löwen auf und knickte ihm den Kopf nach hinten. Ich weiß nicht, wer geschockter über dieses respektlose Verhalten war, der Löwe oder ich – ich ließ ihn nicht mehr auf dem Tisch liegen, sondern nahm ihn mit zu mir auf meinen Stuhl. Er sah nun nicht mehr ganz so zufrieden aus, aber bis zum nächsten Hieronymustag hat er sich sicher wieder erholt.

Fotos: Christel Hildebrandt und Maike Barth

Ein Gastbeitrag zum Thema „Buchherstellung“. Evelyn Kuttig


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Gabriele Haefs

Gabriele Haefs

3 Gedanken zu „Meine Abenteuer beim Übersetzen, 12: Ich war abermals gläserne Übersetzerin“

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