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Meine Abenteuer beim Übersetzen, 13: Die Sache mit der Kollegialität

Löwe_HieronymustagWenn sich so ein Haufen von Übersetzenden, mit dem Kaffeebecher in der Hand, fachsimpelnd um den Hieronymuslöwen drängt, und wenn dann noch immer mehrere jeweils an irgendeinem Buchprojekt beteiligt sind, kann es aussehen, als wären wir ein wunderbar harmonischer Klüngel. Doch ach, die Verhältnisse sind nicht so. Gleich meine erste Erfahrung mit dem Übersetzen zeigte, was so alles passieren kann. Mein erstes Buch war übersetzt, war im Katalog angekündigt, ich war natürlich stolz und freute mich unbeschreiblich darauf, das fertige Buch in der Hand zu halten (es war Gudmund Vindland: „Der Irrläufer“). Doch vom Verlag kam die Frage: „Kennst du den hier?“ Nennen wir ihn Heinz Kirch, ich hab mich gerade daran gewöhnt, unliebsame Personen mit Namen aus Theodor Storms Werk zu umschreiben. Heinz Kirch also schrieb so ungefähr: „Lieber Verlag, warum macht ihr dieses Buch, es taugt doch wirklich nichts, wir schreiben 1983 und nirgendwo in Europa werden Homosexuelle noch diskriminiert. Aber wenn ihr es unbedingt machen wollt, warum habt ihr es von einer Person übersetzen lassen, von der kein Mensch je gehört hat, und nicht von mir, dem bekannten Übersetzer Heinz Kirch?“ Es war ein sympathischer Verlag, und mit beiden Aussagen hatte Heinz Kirch sich bei denen fürs Leben ruiniert. Gut und verdient, aber geht es immer so glimpflich aus?

Keine Spur von Intrigen: Gabriele und Christel Hildebrandt
Keine Spur von Intrigen: Gabriele Haefs und Christel Hildebrandt

Folgende Geschichte hörte ich nun auf der Buchmesse. Übersetzungsseminar, lauter Neulinge, ein Text soll aus dem Finnischen übersetzt werden, unter Anleitung des renommierten Übersetzers Carsten Curator. Er sollte vorher den Text selbst übersetzen und das Resultat mit den Versuchen der Leute im Kurs vergleichen und diskutieren. Carsten Curator eröffnet das Seminar mit der Erklärung, er habe leider keine Zeit zum Übersetzen gehabt, deshalb habe er einen Text genommen, übersetzt von der Kollegin Viola Tricolor, denn der sei so schlecht übersetzt, da könnten sie alle noch was von lernen. Daß die Kollegin Viola Tricolor nicht gefragt worden war, war Carsten Curator doch egal. Daß Kollegialität anders aussieht, sah er auch nicht so, so lange ihm sowas nicht passiert, vermute ich mal. Denn so sind sie, die Heinz Kirchs und Carsten Curators in unserer Branche. Meinen Heinz Kirch traf ich vor einigen Jahren auf der Buchmesse, er war absolut außer sich und suchte Unterstützung. Es hatte nämlich eine Übersetzung nicht bekommen, mit der er fest gerechnet hatte. Und wieso nicht? Kollegin Trude Regen hatte dem Verlag geschrieben und gesagt: „Heinz Kirch ist diesem Projekt nicht gewachsen, gebt die Übersetzung doch lieber mir.“ Daß er sich nun ausgerechnet bei mir ausweinen wollte, fand ich komisch. Er komischerweise nicht.

Vielleicht sind solche Erlebnisse nicht die Regel, vielleicht aber auch nur die Spitze des Eisbergs, wissen wir denn, was die Verlage so für Briefe kriegen? Bestimmt haben nicht alle Lust, sie zu zeigen, sind nicht alle so empört wie damals mein Verlagsmann.

Internationaler Klüngel – mit Eleonora (Rußland) und Margherita (Italien)
Internationaler Klüngel – mit Eleonora (Rußland) und Margherita (Italien)
Herausgegeben mit Christel Hildebrandt und Dagmar Mißfeldt
Herausgegeben mit Christel Hildebrandt und Dagmar Mißfeldt

Nicht immer ist es gleich so gravierend wie bei meinen Beispielen – aber gefragt zu werden, ob man für eine Anthologie bei einem großen Buchclub einige walisische Geschichten aussuchen kann, und dann festzustellen, daß die, für die sich der Buchclub am Ende entschieden hatte, dann auch in der Anthologie erscheinen, übersetzt von einer Freundin der Herausgeberin, ist so ein kleiner Nadelstich. Natürlich nagt man dann ein wenig an den Fingernägeln und fragt dann doch mal nach. Es ist schließlich mit Zeit und Arbeit verbunden, die Geschichten ausfindig zu machen, und dann denkt man doch, man kriegt irgendwas für die Müh’. Antwort in diesem Fall: die übersetzende Freundin habe eben keine Ahnung, wie sie passende Geschichten finden soll, wollte aber gern einen Auftrag, und ich hätte doch sicher auch so genug zu tun. Damit ist klar, daß wir uns lieber auf nichts verlassen. Und am besten allen mißtrauen. Wozu ich aber keine Lust habe.

Aber nun droht also Frankfurt 2019 mit Norwegen als Gastland. Schon vor Monaten fragte jemand, ob wir uns schon vorbereiten auf die Flut von Aufträgen, die dann vielleicht/hoffentlich kommen wird. Damals habe ich geschrieben, daß ich nicht wüßte, wie man sich da vorbereiten soll. Ich weiß es immer noch nicht. Ich fürchte, manche wissen es. Durch Briefe an Verlage, zum Beispiel. Was können wir anderen dagegen tun? Keine Ahnung. Dem Löwen die Mähne kämmen und auf die Fürsprache des Heiligen Hieronymus hoffen. Bestimmt nicht die schlechteste Strategie.

Ein Gastbeitrag zum Thema „Buchherstellung“, Evelyn Kuttig


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Gabriele Haefs

Gabriele Haefs

6 Gedanken zu „Meine Abenteuer beim Übersetzen, 13: Die Sache mit der Kollegialität“

  1. Für mich als „Neuling“ sind beide Seiten sehr nachvollziehbar – man kann jedoch bei publizierten Werken ganz einfach rausfinden, welche AutorInnen von welchen Übersetzenden bereits bearbeitet wurden und es macht für die Verlage und Übersetzende ja auch Sinn, ein „winning team“ nicht zu verändern. (Einmal ist es mir anfangs passiert, dass ich eine Übersetzung nicht beim ersten Suchvorgang gefunden habe und einen Verlag angeschrieben habe, obwohl ich später hörte, dass es schon eine Übersetzung gegeben hatte und der Übersetzende noch aktiv war. Das will man nicht, aber es war zumindest bei mir ein „Anfängerfehler“). Verlage können die Übersetzer ja auch parallel auf ein Buch „ansetzen“ – wir haben keine Listen oder Informationen darüber. Problematisch finde ich es auch bei noch nicht ins Deutsche übertragenen AutorInnen – da kann es schon stark demotivierend sein zu wissen, dass man „keinen Namen“ hat, den man einsetzen kann und Gutachten um Gutachten schreibt, ohne beachtet zu werden. Die Antwort: „Danke, wir arbeiten schon lange mit den selben Übersetzern zusammen und haben keinen Bedarf“ – trotz 2019 übrigens – macht es nicht einfach, daran zu glauben, dass es Sinn macht, dranzubleiben. Aber es ist in vielen Sprachdienstleistungsjobs so, ein kleiner Trost nur. Danke für die Worte zur Situation und irgendwo auch den Mutzuspruch.

  2. Vielen Dank für diesen Beitrag! Wie in jedem Beruf gibt es auch bei uns Menschen, die der Meinung sind, das Leben sei ein Kampf. Ich wünsche uns allen, dass wir möglichst selten auf solche Menschen treffen.

  3. Zum Glück gibt es trotz allem KollegInnen, die den Verlag drauf aufmerksam machen, dass bereits eine andere Übersetzerin genau diese Autorin übersetzt hat oder bei der Kollegin selbst anrufen und sie auf das Interesse des Verlags aufmerksam machen. Warum die entsprechende Lektorin nicht einmal selbst googelt, ist eine andere Frage.

  4. Ich meine zu wissen, wie das mit dem „Vorbereiten“ auf 2019 gemeint ist: Die jungen KollegInnen (die es mitunter wirklich schwer haben, eine erste Übersetzung zu bekommen) meinen, dass alte Schlachtrösser wie Du und ich uns schon jetzt vor Anfragen kaum retten können. Wer weiß, ob es so sein wird – Niederlande/Flamen hatte in diesem Jahr 306 Neuübersetzungen, da wird also auch bei Norwegen einiges passieren. Ich bezweifle dennoch, dass ich in die Lage kommen werde, abgelehnte Aufträge wie Kamelle ins Volk zu werfen —

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