Zum Inhalt springen

Aus dem Übersetzerinnenleben, 1: Ungereimtheiten

Es ist so ein schönes Gefühl, unmittelbar vor den Feiertagen noch schnell eine dicke Übersetzung vollenden zu können. Nicht ganz natürlich, das wäre zu schön, um wahr zu sein – aber das Teil ist einmal übersetzt, jetzt wird herumgefeilt und poliert. Krimifans können sich schon einmal freuen, es ist der neue Roman von Anne Holt. Wie immer bei ihr ist er geschickt aufgebaut, voller immer überraschender Wendungen und Finten. Und das Original ist sorgfältig korrigiert worden. Was gerade bei Büchern aus Schweden und Norwegen eine Seltenheit gibt.

Es gibt den schönen Ausdruck „Skandinavischer Surrealismus“. Das sind die Szenen, wo in einem Kapitel jemand fünfmal zur Tür hereinkommt, ohne das Zimmer auch nur ein einziges Mal zu verlassen, wo sich jemand auf ein rotes Sofa setzt, um sich zwei Seiten später aus einem braunen Ledersessel zu erheben, wo die Heldin sich einen Teller Linsensuppe bringen lässt und sich einige Absätze darauf ein großes Bier bestellt, weil die Spaghetti zu stark gesalzen waren, wo der Held die Tür eintritt, um sie, nachdem das so betretene Zimmer den gesuchten Verbrecher doch nicht enthielt, vorsichtig und lautlos wieder zuzuziehen … was machen eigentlich die Lektorate da oben den ganzen Tag, fragen wir uns dann. Oder genauer gesagt, wir fragen uns das nicht mehr, wichtig ist ja vor allem, was sie nicht tun. Nämlich: Korrekturlesen.

Gabriele Haefs und Anne Holt an einem glühendheißen Sommertag
Gabriele Haefs und Anne Holt an einem glühendheißen Sommertag

Bei Anne Holt gibt es nur eine Stelle, die der (sonst) geplagten Übersetzerin Stirnrunzeln macht: Da sitzt jemand vor einem Laptop mit einem „quadratischen Bildschirm“. Schon je einen quadratischen Bildschirm gesehen? Aber ich habe in einem Computerladen gefragt, sicher ist sicher, da bestritten alle die Existenz von quadratischen Bildschirmen, und eine kurze Anfrage beim Originalverlag ergab dann auch, daß „viereckig“ gemeint ist. Aber im ganzen Buch geht niemand vormittags in ein Restaurant und bestellt das Abendmenü für zwölf Personen, der Kölner Dom ist auf dem richtigen Rheinufer angesiedelt und niemand will ins deutsche Bundesland Tirol reisen. Das sind nur einige Beispiele aus schwedischen und norwegischen Büchern des vergangenen Jahres. In den deutschen Übersetzungen fehlen die dann alle, denn wir wissen: Wenn wir das stehenlassen, schreibt garantiert ein Studienrat einen wutschnaubenden Brief an den Verlag, oder an die „Zeit“ und erklärt, die Übersetzerin habe aufs Übelste geschlampt. Quadrat ist leicht durch Viereck zu ersetzen, den Kölner Dom konnte ich problemlos aufs linke Rheinufer translocieren, bei der Spaghettiszene hilft eine Anfrage bei der Autorin: „Was isst deine Heldin denn nun wirklich?“ Schwieriger wird es, wenn der Autor nicht antwortet, sondern schmollt: „Ich habe schließlich im Baedeker nachgesehen“, und wir uns fragen, ob es nicht einfacher gewesen wäre, stillschweigend die nötigen Korrekturen vorzunehmen. Was, wie gesagt, bei Anne Holt eben alles nicht nötig war.

Aber die richtig dicken Probleme sind oft nicht die Schlampereien, die die Verlage im Norden anrichten, sondern Dinge, die die AutorInnen in aller Arglosigkeit selbst schreiben: „Sie hieß Nutte und sah auch so aus.“ Stand so da, aber wenn eine „Nutte“ heißt und so aussieht, dann stellt sich die deutsche Leserin ja doch etwas anderes vor als die norwegische. Die norwegische Leserin sollte sich diese „Nutte“ (Kurzform von Kanutta, weibliche Form von Knut) als hübsch, niedlich und irgendwie puppenhaft vorstellen. Für eine deutsche Übersetzung hätte sie zweifellos umgetauft werden müssen. Leider beschloss der Verlag, der sich für dieses Buch interessiert hatte, es dann doch nicht zu machen, noch ehe ich mir einen schönen Namen ausgedacht hatte. Und das ist ewig schade, denn es war einer der wenigen Kriminalromane der unvergleichlichen Margit Sandemo!

Foto: Gabriele Haefs

Ein Gastbeitrag zum Thema „Buchherstellung“, Evelyn Kuttig


Ich freue mich, wenn Sie diesen Beitrag weitersagen:
Gabriele Haefs

Gabriele Haefs

3 Gedanken zu „Aus dem Übersetzerinnenleben, 1: Ungereimtheiten“

  1. Meine Hochachtung, Gabriele 🙂 Ich habe beim Lesen dieses Artikels gelernt, dass zum richtig guten Übersetzen neben einer immensen Portion Bildung, die ja auch darin besteht, zu wissen, wo man nachschlägt, ebenso detektivisches und psychologisches Gespür gehört!

Schreibe einen Kommentar zu Holmer Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert