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Meine Abenteuer beim Übersetzen, 19: Was die Leute so fragen

Was die Leute so reden …

Hierzu natürlich als Soundtrack: Johnny Hallyday

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Ansonsten reden die Leute viel – berüchtigt ist z.B. der archetypische ältere Herr, der sich bei jeder Lesung und jedem Vortrag irgendwann erhebt und eine Frage stellt, die rein gar nichts mit dem Thema zu tun hat. Aber meistens ist sie so kompliziert ausgedrückt, daß klar ist: Er hat den ganzen Abend darüber nachgedacht und konnte also nicht zuhören. Auch einfache Fragen können einer aber total die Sprache verschlagen. So der ältere Herr bei einer Lesung mit dem norwegischen Krimiautor Lars Mæhle: Wir zeigen das Buch, wir erzählen, wo die deutsche Übersetzung erschienen ist, wie sie heißt, wie der Originaltitel war, dann liest der Autor auf Norwegisch, ich lese auf Deutsch. Schließlich der ältere Herr: „Es reicht ja nun wirklich nicht, daß das Buch auf Englisch erschienen ist, warum gibt es keine deutsche Übersetzung?“ In solchen Fällen ist es natürlich gut, wenn Publikum dabei ist. Man muß nur aufpassen, daß das Publikum nicht zu sehr eingreift und den armen älteren Herrn in Grund und Boden redet (es sind immer ältere Herren, ich weiß auch nicht, warum).

Gabriele Haefs und Anne Holt, nicht am Lucia-Tag – Foto © privat

Manchmal gibt es auch Briefe. Gern voller wilder Anschuldigungen: „Sie hätten das aber so und so übersetzen müssen.“ Oft fängt es harmlos an. Das schrieb mir eine Frau, die eine Examensarbeit über Krimi-Übersetzungen verfaßte. Warum ich in einem Buch von Anne Holt das Wort „Lucia-dagen“ mit „Luzia-Tag“ übersetzt hätte. Was diese Frage mit einer Untersuchung über Krimi-Übersetzungen zu tun hatte, hätte ich gern gewußt, oder wie man es sonst hätte übersetzen sollen. Das fragte ich auch, bekam aber keine Antwort. Ich mußte zugeben, daß ich nicht mehr wußte, warum ich Lucia-dagen (man muß sicher kein Norwegisch können, um zu verstehen, daß der Lucia-Tag gemeint ist) mit Lucia-Tag übersetzt hatte, die Übersetzung hatte ich 2002 gemacht, die Anfrage kam 2017. Die Frage, warum ich in einem Buch von Jon Michelet einen ganzen Absatz ausgelassen hatte, konnte ich dagegen auch zwanzig Jahre später sofort klären: Weil der Autor es so wollte, er hatte für alle Übersetzungen eine Liste mit Änderungen herumgeschickt, weil er mit seinem eigenen Text dann doch nicht mehr so ganz einverstanden war. Es ist irgendwie tröstlich, wenn die Frage in anklagenden Ton gestellt wird: „Wie können Sie es wagen, einfach im Text des Autors Änderungen vorzunehmen?“ – „Weil der Autor es will,“ wunderbar.

Manchmal kann es auch peinlich werden. So fragte ein älterer Herr, klar, auf einer Lesung, wieso in einem Buch von Karin Fossum eine halbe Seite fehle, er hatte sogar das Original mit und konnte beweisen, sie fehlte. Ich schämte mich ganz furchtbar, konnte nur alle viere von mir strecken und meine absolute Unfähigkeit und Schusseligkeit gestehen, der ältere Herr war glücklich und meinte begütigend, sowas könne ja sicher mal passieren – aber mir ließ das keine Ruhe, und zu Hause habe ich dann im Manuskript nachgeschaut, ob ich mir da irgendwelche Notizen gemacht hätte, ob ich irgendwas fände, das diesen Fauxpas erklären könnte, und ja, ich fand. Im Manuskript stand endete das Kapitel genau an der Stelle, bis zu der ich übersetzt hatte. Es stellte sich heraus, daß die Autorin noch letzte Änderungen vorgenommen hatte, ehe das Original in Druck gegangen war. Der norwegische Verlag hatte dem deutschen das Manuskript geschickt mit dem Vermerk „das ist die endgültige Fassung“ und dann vergessen, die später noch vorgenommenen Änderungen nachzureichen. Das war mir ein Trost, aber alle, die bei der Lesung gewesen waren, glauben sicher heute noch, daß ich nicht hinschaue beim Übersetzen.

Dann gibt es diejenigen, denen eine Ausdrucksweise nicht gefällt. Sie können das Original nicht lesen, oder es ist ihnen egal, daß es sich um eine stilistische Eigenheit handelt, bei der sich die Autorin durchaus etwas gedacht hat – und sie erklären mit beleidigter Stimme: „Ich habe in der Schule gelernt, daß es soundso heißen muß.“ Was soll unsereine dazu sagen? Außer, daß wir alle in der Schule ganz schön viel Unsinn gelernt haben, die meisten von uns befreien sich dann aber irgendwann von manchem Ballast. Ich habe z.B. gelernt, daß am Ersten Weltkrieg allein „die Russen“ schuld waren, und daß die lateinischen Deponentien so heißen, weil sie nur eine Passivform haben und die aktive Form irgendwann abgelegt, also deponiert haben. Über die Sache mit dem Ersten Weltkrieg sind sich die Gelehrten noch heute nicht einig, Deponentien dagegen ist ein Unsinnsname, da diese Verben nie eine Aktivform hatten, sondern auf älteste indogermanische Sprachschichten zurückgehen. Aber natürlich sollen Kinder im Lateinunterricht sich nicht für Sprachgeschichte interessieren, sondern Grammatik büffeln. Aber läßt sich so eine beleidigte Leberwurst so einfach davon abbringen, daß das, was sie in der Schule lernen mußte, für alle Ewigkeit in Stein gemeißelt steht? Eher selten.

Besonders kritisch sind meiner Erfahrung nach Theologen, besonders unhöflich auch. Wird irgendwo aus der Bibel zitiert, schreibt garantiert ein Theologe so ungefähr: „Wie können Sie es wagen, eine andere Bibelfassung zu nehmen als die, die ich für richtig halte?“ Das ist ein typischer Fall. Der Theologe wütet und erklärt, das sei ja eine Fassung von 1912 (er beschreibt sogar, wie lange er gebraucht hat, um genau festzustellen, nach welcher Fassung ich zitiert habe), und das sei einfach unverschämt, ich hätte gefälligst die neue Einheitsübersetzung zu verwenden. Warum ich das tun muß, schreibt er nicht. Gelesen hat er auch nicht. Denn im Buch geht es darum, daß der Held zwar viel in der Bibel liest, neue Bibelübersetzungen aber schrecklich findet und deshalb grundsätzlich keine Bibel benutzt, die nach 1920 erschienen ist. Wo ich mit der von 1912 doch gar nicht schlecht lag? Ob der Theologe ein älterer Herr war, weiß ich nicht

Wenn sich solche Fragen und Beschimpfungen häufen, tritt oft eine gewisse Müdigkeit ein. Vor kurzem kam eine Frage, da wolle jemand meine Mailadresse, um mir eine Frage zu stellen, ob meine Adresse weitergereicht werden dürfe. Ich sagte, bitte nicht, ich hatte diese Woche schon genug von solchen Wichtigtuern, könnt ihr nicht sagen, die sollen ihre Frage stellen, und dann schickt ihr die mir. Aber das ging offenbar nicht, die Frage müsse unbedingt an mich persönlich gerichtet werden. Ich seufzte, sagte, „na gut“ und machte mich aufs Schlimmste gefaßt. Dann kam die Frage, und nie war eine Frage so leicht zu beantworten. Ich sollte sagen, ob ein bestimmtes Buch den vollständigen Originaltext enthielte oder eine gekürzte Fassung. Die Antwort war: „Weiß ich nicht“, denn dieses Buch hatte ich gar nicht übersetzt.

Ein Beitrag zum Thema „Buchherstellung“, Schwarzaufweiss Evelyn Kuttig


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Gabriele Haefs

Gabriele Haefs

Ein Gedanke zu „Meine Abenteuer beim Übersetzen, 19: Was die Leute so fragen“

  1. Herrlich, sich sein Verhalten (als bisweilen Gasthörer aber nun ein für immer bleibender älterer Herr) so kurzweilig vorgeführt zu bekommen. Ein wahrer Stimmungsaufheller. Achtung, beim nächsten Besuch einer Lesung werde ich meine Frage vorher formuliert und gelernt haben. 😉

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