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Meine Abenteuer beim Übersetzen, 14: Ich bin Zeitzeugin

Hilde Hagerup

Als ich im Haus von Pádraig Pearse in Rosmuc stand und allgemein bewundert wurde, weil ich bei dem dort heißverehrten Heinrich Becker Irisch gelernt hatte, hatte ich so ein vages Gefühl davon, wie es wohl ist, Zeitzeugin zu sein. Nun aber … Es passierte bei einem Seminar im Nordkolleg in Rendsburg, bestimmt der schönsten Seminarstätte im ganzen Land (wo es demnächst vielleicht sogar Friesischkurse geben wird!). Es ging um Übersetzungen aus dem Norwegischen, und Gastautorin war die wunderbare Jugendbuchautorin Hilde Hagerup. Wir sprachen über ihre Bücher, über die Übersetzungen derselben, wie Hilde schreibt, was sie schreibt, und natürlich kam die Frage: Was schreibst du als nächstes?

Anne Karin Elstad

Sie brauche immer mal eine neue Herausforderung, sagte Hilde, und deshalb schreibe sie jetzt kein Jugendbuch, sondern eine Biographie der Schriftstellerin Anne Karin Elstad. „Ach wie schön“, sagte ich, „Sie war so wunderbar.“ – „Hast du sie gekannt?“, fragte Hilde gespannt, und schon war ich Zeitzeugin.

Zum ersten Mal hatte ich den Namen Anne Karin Elstad noch als Studentin gehört, als ich meine erste Übersetzung fertighatte, und ein Professor in Oslo mich fragte, was ich denn sonst noch gern übersetzen würde. „Sicher nicht Anne Karin Elstad, ha, ha“, sagte er. Das sei ja keine Literatur, man sehe es daran, daß sie fast nur von Frauen gelesen werde. Ich war ja noch jung und zaghaft und kippte ihm also nicht meinen Kaffee ins Gesicht, sondern eilte davon, um mir ein Buch zu verschaffen (das, welches auf Deutsch dann später „Später, Lena, später“ hieß). Einige Jahre später, inzwischen überzeugter Elstad-Fan, war in Oslo Buchmesse, und ein Verlagsmann fragte, ob ich nicht etwas für Anne Karin Elstad tun könne, denn er hatte ein schlechtes Gewissen. Sie selbst hatte den Eindruck, daß zwar niemand in Norwegen so viele Bücher verkaufte wie sie, daß ihr Verlag aber nichts für sie tat, nicht versuchte, ihr Verlage im Ausland zu besorgen, sich über das Geld freute, das hereinkam, es ansonsten aber eher peinlich fand, sie im Angebot zu haben (denn, wie der Prof schon gesagt hatte, Literatur sei das ja nicht; was Frauen schon so lesen, wenn sie selbst aussuchen dürfen …). Besagter Verlagsmann wollte sie also zu sich in seinen Verlag holen, aber nix. Die damals leitenden intellektuellen und angeblich linksradikalen norwegischen Autoren waren bei ihm und hatten erklärt: „Wenn so eine kommt, dann gehen wir.“ Es gab nur zwei Autorinnen in dem Verlag, die sich den großen Jungs gegenüber nicht durchsetzen konnten. Und so blieb Elstad bei ihrem anderen Verlag und unser Verlagsmann grämte sich furchtbar.

„Was, wirklich?“, fragte Hilde immer wieder. „Darf ich das zitieren?“ Klar darf sie, ich bitte darum. Ich konnte noch mehr solcher Geschichten erzählen, vor allem aber daran erinnern, dass Anne Karin Elstad eine liebe, lustige Frau war, mit viel Humor und Phantasie, was alles in ihren Büchern deutlich wird. Und wie gern sie eine Nacht durchmachte und dabei ihrer Besucherin immer neuen Sekt einschenkte, auch das (was in ihren Büchern nicht so deutlich wird, aber eine wunderschöne Erinnerung ist). In Deutschland wurde sie nie richtig entdeckt. Einmal sah es so aus, als 2005 bei BTB ihr Roman „Die Erstgeborene“ erschien? Der Verlag warb mit „die norwegische Fredriksson“, aber das stimmte nicht, von ihrer Bedeutung bei sich zu Hause sicher, aber ihre Personen leben, sind nie schwarzweiß, nie so unglaubwürdig stark wie die bei Fredriksson, und vor allem eben hatte sie Humor. Nach diesem Buch schrieb sie aber eine Autobiographie, das wäre für den deutschen Markt ja erst interessant gewesen, wenn sie so bekannt gewesen wäre, wie sie es verdiente. Und dann starb sie sehr unerwartet, nachdem sie mehrere Schlaganfälle überlebt und überwunden hatte, am 4. April 2012.

Hilde Hagerup konnte eine andere Geschichte erzählen, von der feministischen Buchmesse 1984 in London, sie ging damals noch zur Schule, hatte es aber von einer Autorin gehört, die dort war. Abends, Messegeschäfte für den Tag vorbei, aber es gab eine Menge Lesungen. Die Autorin sitzt mit anderen Leuten aus Norwegen am Covent Garden in einem Straßencafé und sieht eine lange Warteschlange vor einem Saal, wo eine Lesung stattfinden soll. Eben von Autorinnen, die zur Messe eingeladen waren. Sie sagte: „Das sind ja mindestens 300 Leute, die da noch Karten wollen.“ – „Ja“, sagte ein norwegischer Journalist, der von der Messe berichten sollte. „Aber vielleicht doch kein so spannendes Thema, wenn sich niemand dafür interessiert.“ Großes Starren – er konnte das aber überzeugend erklären, die 300 Wartenden waren allesamt Frauen!

Das war das Klima, in dem Anna Karin Elstad zur Bestsellerautorin wurde und bei allem nicht den Humor verlor. Es ist sicher nicht anzunehmen, dass Hilde Hagerups Biographie über sie übersetzt wird, aber ich finde es wunderbar, dass ich dazu beitragen kann und auf diese Weise zur Zeitzeugin werde.

Ein Gastbeitrag zum Thema „Buchherstellung“, Evelyn Kuttig


Ich freue mich, wenn Sie diesen Beitrag weitersagen:
Gabriele Haefs

Gabriele Haefs

Ein Gedanke zu „Meine Abenteuer beim Übersetzen, 14: Ich bin Zeitzeugin“

  1. Danke, Gabriele! Großen Dank! Ich kannte die Autorin nicht und bin jetzt sehr neugierig. Und was das Bewertungsraster der männlichen Autoren/Verlagsleute anbelangt: da könnte ich jetzt auch eine Menge zu erzählen. Über die Hybris der Männer im Literaturgeschäft. Über diese Borniertheit, die Dummheit und die Kurzschlussbewertung, daß alles, was humorvoll ist, weniger wiegt. Daß alles, was vorwiegend von Frauen gelesen wird, keine Literatur sein kann. Wir sprechen ganz einfach immer noch zwei verschiedene Sprachen, that’s it. Mit dem Unterschied: Frauen sind generell sprachbegabter und können „mann“ relativ schnell, und Männer müssen „frau“ fast immer mühsam lernen, verstehen es schlecht und machen dann das, was Männer leider so oft machen, wenn sie nicht begreifen: bewerten, abwerten, verurteilen, durchwinken. Alles andere hieße ja, Schwächen zugeben.

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