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Meine Abenteuer beim Übersetzen, 30: Ich darf endlich wieder eine Lieblingsautorin übersetzen

Toril Brekke, Ein rostiger Klang von Freiheit, Stroux edition, München 2022, aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs
Toril Brekke – Foto © Tine Poppe

Wir alle haben Lieblinge: Autorinnen und Autoren, die wir besonders gern übersetzen – leider wollen die Verlage nicht immer so wie wir, plötzlich geht es nicht weiter mit den Büchern der Lieblingsautorin, und da sitzen wir und grämen uns. Was natürlich keinen Zweck hat, sinnvoller ist es, das neue Buch der Lieblingsautorin unter den Arm zu nehmen und damit hausieren zu gehen, denn es muss doch einen Verlag geben, der dieses Juwel von Buch/Juwel von Autorin einfach unbedingt im Programm haben will!

Toril Brekke, Kein Weg zurück?, Roman, Buntbuch-Verlag, Hamburg 1984, aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs
Buntbuch-Verlag, Hamburg 1984

Die Lieblingsautorin, um die es hier geht, ist Toril Brekke aus Norwegen. Schon das dritte Buch, das ich jemals übersetzt habe, war ein Roman von ihr! 1984, im Buntbuch-Verlag. Es kamen viele weitere, dazu Kurzgeschichten in Anthologien und Zeitschriften. Nebenbei war sie Vorsitzende des norwegischen Schriftstellerverbandes, Vorsitzende des norwegischen PEN, immer aktiv und immer produktiv. Als sie den ersten Band einer Romanserie über norwegische Auswanderung nach Amerika veröffentlicht hatte, kam ich von einem Literaturfestival in Stavanger, saß am Flughafen und fing an zu lesen. Und dann wurde mein Flug aufgerufen. Dieses Entsetzen – jetzt würde ich in frühestens zwanzig Minuten erfahren, ob der Held den Intrigen seiner Feinde zum Opfer fällt und ob seine Liebste allein ins gelobte Land ziehen muss … Diese Art von Spannung erzeugt kaum eine so wie Toril Brekke. Das Buch heißt auf Deutsch „Elises Traum“.

Ihre Bücher erschienen zuletzt bei einem großen Verlag, aber dann ging alles schief. Der zuständige Verlagsmann war lange krankgeschrieben, niemand fühlte sich für seine Autorin zuständig. Dann ging er in Pension, und noch immer war niemand zuständig, nur hieß es nun: So lange ist nichts mehr von ihr bei uns erschienen, es wird zu schwierig, sie wieder im Programm unterzubringen. Was kann eine arme Übersetzerin aber anderes tun, als sich wutschnaubend umdrehen und norwegische Flüche murmeln? Was sie tun kann, ist, wie oben erwähnt, sich das Buch unter den Arm klemmen und hausieren gehen. Und es war gar nicht schwer. Über den wunderbaren Verein Bücherfrauen kam ein Kontakt mit der wunderbaren Stroux edition zustande, die z. B. den wunderbaren (Ehrenwort, dieses Adjektiv kommt in diesem Text ab hier nicht mehr vor) Isländer Mikael Torfason im Programm hat.

Toril Brekke, Ein rostiger Klang von Freiheit, Stroux edition, München 2022, aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs
Stroux edition, München 2022

Und schon liegt Toril Brekkes Roman „Ein rostiger Klang von Freiheit“ auf Deutsch vor. Es ist – fast – ein historischer Roman, er spielt 1967! Eine Rezensentin hat ihn als „Zeitreise“ bezeichnet, alles ist zum Greifen nah, die Politik (Vietnamkrieg), die zaghaften Befreiungsversuche der Jugendlichen, die Musik, die ihnen ungeheuer wichtig ist („Sgt. Pepper“), und vor diesem Hintergrund erleben wir die Geschichte von Agathe, 17, und ihrer Familie. Die Familie ist nicht ganz alltäglich, die Mutter hat Mann und Kinder verlassen und ist mit einem Liebhaber nach Kopenhagen durchgebrannt. Als der Roman seinen Anfang nimmt, hat sie auch diesen Liebhaber sitzenlassen und hat abermals einen neuen. Agathe und ihr kleiner Bruder beschließen, nach Kopenhagen zu fahren und ihre Mutter zur Rede zu stellen. Und nun nimmt das Familiendrama seinen Lauf, denn in Agathes Familie ist ungeheuer viel gelogen worden, und während wir bald ahnen, wer lügt, so wissen wir doch nicht, wer belogen wird und wer sich nur unwissend stellt, und was das große Geheimnis ist, das hinter allem steckt. Zu der mitreißenden Geschichte mit ihren vielen Überraschungen kommen die Alltagsbeobachtungen der Autorin. Ganz besonders beeindruckend: Der Alltagssexismus – Agathe steht einem Freund, der bei seiner Bewerbung um einen Studienplatz an der Photoakademie Aktbilder einreichen muss, Modell – der Knabe verkauft die Fotos an sabbernde Sammler und kommt nicht einmal auf die Idee, Agathes Einverständnis einzuholen. Ahn Jean misshandelt seine Freundin Madeleine, aber das ist verzeihlich, denn er ist ja Vietnamese, während sie der Kolonialmacht Frankreich entstammt. Nur langsam gehen Agathe für diese Dinge die Augen auf.

Toril Brekke im Botanischen Garten in Oslo – Foto © privat

Bei der Arbeit an der Übersetzung war das Wiedersehen mit Torils Stil die pure Freude. Sie benutzt so viele Bilder, die oft aus der Musik stammen. Ihre Spezialität sind kurze Sätze und abrupte Szenenwechsel, eine umwerfende Fähigkeit, dadurch, dass zwischen zwei Abschnitten kein überleitender Satz steht, im Kopf der Leserin ganze Bilderfolgen auszulösen. Das wusste ich ja schon, aber sie hat diese Kunst inzwischen noch perfektioniert. Dazu kommt, dass die Heldin nicht immer nur sympathisch ist, auch Agathe hat ihre unschönen Seiten. Wiederum typisch für Toril Brekkes Bücher. In „Der Weg nach Westen“ (noch ein Auswandererroman) ging mir die Heldin dermaßen auf die Nerven, dass ich richtig schadenfroh war, als sie einen blöden Frömmler heiraten musste – und wie glücklich war ich, als es damals allen Verlagsfrauen genauso ging! Welchen Eindruck Agathe bei den LeserInnen hinterlassen wird – wir warten gespannt!

Toril Brekke: Ein rostiger Klang von Freiheit. Stroux edition, München 2022, 332 Seiten, gebunden, 24,00 Euro

Ein Beitrag zum Thema „Buchherstellung“, Schwarzaufweiss Evelyn Kuttig


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Gabriele Haefs

Gabriele Haefs

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