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Wie ich dazu kam, Regine Normanns Märchen ins Deutsche zu übersetzen

Als ich vor drei Jahren in einer Broschüre über die Vesterålen zum ersten Mal den Namen Regine Normann las, ahnte ich noch nicht nicht, wie sehr mich diese norwegische Schriftstellerin und ihr Heimatort einmal in ihren Bann ziehen würden …

Bø auf den Vesterålen: Blick vom Berg in der Nähe der Sinahula, in der Regine Normann ihre Manuskripte versteckte – Fotografin © Dörte Giebel
Regine Normann – Quelle © Rolf Normann Svendsen

Serine (Sina) Regine Normann (1867–1939) war die erste Frau aus Nordnorwegen, die als Schriftstellerin in ganz Norwegen Erfolge feierte. Sie wuchs in Bø auf den Vesterålen auf – und erfuhr am eigenen Leib, wie beschwerlich und entbehrungsreich das damalige Leben auf dieser abgelegenen Inselgruppe 300 Kilometer nördlich des Polarkreises war: Als Fünfjährige wurde sie nach dem Tod ihres Vaters zu entfernten Verwandten gegeben, weil die Mutter es allein nicht schaffen konnte, fünf Kinder durchzubringen. Wie sehr sie als Kind und Jugendliche darunter litt, dass sie keine Möglichkeit hatte, an Bücher heranzukommen, beschrieb sie viele Jahre später in einem Zeitungsartikel, den ich ins Deutsche übersetzt habe. Direkt nach ihrer Konfirmation begann Regine Normann, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, und verdingte sich als Kindermädchen beim Pastor. Mit 17 ging sie eine arrangierte Ehe mit einem 21 Jahre älteren Glöckner und Lehrer ein. Sie begann gegen den Willen ihres Ehemanns zu schreiben und versteckte ihre Manuskriptseiten in einer Berghöhle.

Mit Ende zwanzig brach Regine Normann endlich aus ihrer unglücklichen Ehe aus; ihr gelang in einer Nacht- und Nebelaktion die Flucht nach Kristiania (Oslo), wo sie eine Ausbildung als Lehrerin begann und anschließend – neben ihrer Schriftstellerei – bis zu ihrer Pensionierung als Lehrerin arbeitete. Um ihre Scheidung zu finanzieren, gab sie ihren ersten Roman heraus, und wurde damit landesweit bekannt. In den literarischen Kreisen der Hauptstadt war sie schnell gut vernetzt und pflegte unter anderem eine enge Freundschaft mit der Literaturnobelpreisträgerin Sigrid Undset. Viele ihrer Bücher spielen in Nordnorwegen und setzen sich kritisch mit der Stellung der Frau in der damaligen Gesellschaft auseinander. Ihre beiden Märchenbücher sind in Norwegen bis heute mehrfach neu aufgelegt worden. In Deutschland blieb Regine Normann jedoch quasi unentdeckt, lediglich ihr Debütroman erschien damals auch auf Deutsch.

Am Grab von Regine Normann – Foto © Dörte Giebel

Seit drei Jahren reise ich mittlerweile auf den Spuren von Regine Normann durch Norwegen – nach Tromsø, wo ihr Privatarchiv aufbewahrt wird, nach Oslo in die Nationalbibliothek, um ihre Zeitungsartikel zu lesen und um an der Sofienberg Skole und ihrer Wohnung vorbeizugehen, nach Stensland an ihr Grab – und natürlich nach Bø auf den Vesterålen. Dort war ich inzwischen schon fünf Mal, sommers wie winters, und lasse mich jedes Mal wieder davon begeistern, wie sehr die Menschen in Bø „ihre“ Märchenerzählerin verehren. Im Museum des Ortes ist ein kompletter Raum mit Fotos und Texten von ihr hergerichtet. Die Höhle, in der sie damals ihre Manuskripte versteckte, ist heute nach ihr benannt.

Außerdem organisieren die Bøfjerdinger (so nennen sich die Menschen dort) jedes Jahr Ende Juli mit großem ehrenamtlichen Engagement die Reginedagan (Reginetage) – ein einwöchiges Festival mit Veranstaltungen für groß und klein. Im Mittelpunkt stehen dabei ihre Märchen, für die sie bis heute in Norwegen bekannt ist. Regine Normann erzählte nämlich ihren Schülern regelmäßig selbst erdachte Geschichten und feilte auf diese Weise über viele Jahrzehnte an ihren Kunstmärchen, bevor sie sie 1925 und 1926 in zwei Bänden veröffentlichte.

Nachdem mein Entschluss feststand, Regine Normann nach Deutschland zu holen, indem ich ihre wichtigsten Bücher ins Deutsche übersetze, begann ich, zweigleisig zu fahren: Zum einen bin ich – nach wie vor – auf der Suche nach einem Verlag für ihre sozialkritischen und stark autobiografisch geprägten Romane, die aus meiner Sicht bis heute nichts an Aktualität eingebüßt haben.

Zum anderen habe ich jetzt einen ersten Schwung ihrer Märchen übersetzt und bei Books on Demand herausgegeben. Dafür musste ich niemanden um Erlaubnis fragen, denn Regine Normann ist schon vor über 70 Jahren gestorben, somit sind ihre Texte mittlerweile gemeinfrei. Es hat viel Freude bereitet, ihre Märchen zu übersetzen. Vor der Kulisse der typischen Landschaft Nordnorwegens bestehen Mädchen wie Jungen aufregende Abenteuer und bekommen dabei Unterstützung von sprechenden Tieren und Wesen aus der Zwischenwelt. Zusätzlich zu den acht Märchen enthält das Buch „Märchen aus dem Land der Mitternachtssonne“ auch noch ein ausführliches Nachwort von Liv Helene Willumsen, die über Regine Normanns Werk promovierte und eine Biografie über die Schriftstellerin geschrieben hat. Auf diese Weise bekommen alle deutschsprachigen Leserinnen und Leser erstmals einen Einblick in das Leben und das schriftstellerische Werk einer wirklich beeindruckenden Frau.

Zum Schluss noch ein Tipp für Oslo-Reisende: Seit zwei Jahren hängt an der Hauswand in der Stensgate 3 eines der bekannten blauen Schilder – zu Ehren von Regine Normann, die dort fast 30 Jahre lang gewohnt hat. Ja, so weit geht meine Begeisterung für diese Schriftstellerin, dass ich eigens eine Online-Spendenaktion ins Leben rief, um dieses Schild sowie ein weiteres in ihrem Geburtsort auf den Vesterålen zu finanzieren…

Enthüllung des blauen Schildes in Oslo im August 2017: Ich überreiche dem Bürgermeister von Bø, Sture Pedersen, einen Scheck für das zweite Gedenkschild auf den Vesterålen – Foto © Anne C. Eriksen

 

Ein Beitrag zum Thema „Buchherstellung“, Schwarzaufweiss Evelyn Kuttig

 


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Dörte Giebel

Dörte Giebel

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