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Meine Abenteuer beim Übersetzen, 25: Ich habe Gedichte übersetzt!

Und das tu ich selten. Ich meine jetzt nicht kleine Verse, die in einem Prosatext auftauchen und mitübersetzt werden müssen. Die sind dann aber von der poetisch ebenso wenig befähigten Verfasserin des Prosawerkes und von dieser Güte: „Die Zeit mit dir war viel zu kurz. Die Krankheit ist ein mieser Furz.“ Ich lege hier Wert auf die Feststellung, dass Versmaß, Reim und die Intention des Ausgangsverses perfekt beibehalten wurden, was nicht immer gelingt.

Das ist es eben gerade. Gedichte sind so schwierig, entweder reimen sie sich, dann dürfen sie aber in der Übersetzung nicht nach „Reim dich oder ich fress dich“ klingen. Oder sie sind in einem komplizierten Versmaß, haben einen zeilenübergreifenden Rhythmus, und zudem haben wir ja alle in der Schule gelernt, dass „der Dichter“ uns was sagen will und sich bei jedem Wort etwas denkt. Im Leben nach der Schule haben wir dann gelernt, dass das meiste, was wir in der Schule gelernt haben, kompletter Unsinn war, und dieses Wissen ist auch beim Gedichteübersetzen eine Hilfe.

Bergen 1768 – Foto © Commons Wikipedia

Hier geht es nun um Gedichte aus der Stadt Bergen. Bergen ist Norwegens zweitgrößte Stadt, liegt an der Westküste, schaut aufs offene Meer, war schon eine große Handelsmetropole, als die heutige Hauptstadt Oslo noch ein Kuhkaff war (so sieht es aus Bergenser Sicht aus). Mehrere Jahrhunderte lang haben sich die dortigen Kaufleute um Aufnahme in die Hanse beworben, kamen aber über den Bewerberstatus nie hinaus. 1392 segelte Klaus Störtebeker in den Hafen, ging mit seinen Likedeelern an Land, blieb ungefähr eine halbe Stunde und legte schnell vor der Abreise noch alles in Schutt und Asche. Warum, ist bis heute unbekannt. Unbekannt ist auch, warum die Leute in Bergen und um Bergen herum das R nicht rollen, wie in vielen anderen Gegenden Norwegens. Eine Behauptung ist, das hätten sie so von den norddeutschen Kaufleuten übernommen, aber in den niederdeutschen Dialekten wurde damals das R auch noch gerollt. Wir sehen, Bergen ist eine Stadt voller Geheimnisse.

Cecilie Løveid – Foto © privat

Und deshalb wird dort natürlich auch gedichtet. In Bergen lebt Cecilie Løveid, die Gedichte schreibt, Schauspiele, vor allem vielfach preisgekrönte Hörspiele … und auch Prosa, ein bisschen von ihr wurde auch übersetzt, viel zu wenig, das ist aber schon lange her, viel zu lange. Als Cecilie Løveid vor einigen Jahren fragte, ob ich ihr Gedicht „Strafe“ übersetzen könnte, wollte ich natürlich ausrufen: Nein! Das kann ich nicht! Poesie ist viel zu schwierig!, aber ich weiß nicht mal, ob ich das nicht zugeben wollte oder ob mich die Herausforderung reizte. Jedenfalls: Ich hab es versucht. Und alle waren zufrieden, vor allem die Dichterin.

Nun aber, weil Norwegen Gastland der Frankfurter Buchmesse ist und die Hauptstadt Oslo gewaltig wichtig tut, wollte Bergen klarstellen, dass sie auch noch da sind. Und deshalb gibt es zur Buchmesse ein Buch mit „12 literarischen Stimmen aus Bergen“. Das sind die Stimmen: Henning H. Bergsvåg, Carina Elisabeth Bedari, Tomas Espedal, Gunnhild Øyehaug, Frode Grytten, Fredrik Hagen, Cesilie Holck, Hildegunn Dale, Pedro Carmona-Alvarez, Katrine Heiberg, Siw-Anita Kirketeig, Yngve Pedersen, Erlend O. Nødtvedt und Cecilie Løveid (in der Reihenfolge ihres Auftretens), und nun fragte Cecilie Løveid, ob ich ihre Gedichte übersetzen wollte. Und ob ich wollte! Es geht vor allem darin um einen Umzug, man kann das auch alles im übertragenen Sinn und bildlich verstehen, muss aber nicht, und es gibt so grandiose Sätze wie: „Wir sind zu dem Punkt im Leben gekommen, wo wir es nicht mehr nötig haben, Schwimmfüße zu waschen, ehe wir sie einpacken.“ Es kommt auch ein Wichtel vor, der im Möbelwagen hockt, und hier geriet ich ins Nachdenken. Ist es ein Wichtel, ein Zwerg, ein Kobold, es gibt noch ungefähr ein Dutzend weiterer Möglichkeiten, bei Jacob Grimm sind sie alle aufgeführt und definiert, und als studierte Volkskundlerin legte ich Wert auf die korrekte Bezeichnung. Aber das hier ist Poesie, keine  Feldstudie. Und also ist es viel wichtiger, was sich die Autorin vorgestellt hat! Die Autorin kann ziemlich gut Deutsch und meinte, ob nicht Zwerg oder Schlumpf eine Möglichkeit seien. Ich beschrieb, was für Assoziationen sich mit Zwerg und Schlumpf verbinden und hatte meinen Auftritt als Wichtel-Advokatin. Es blieb beim Wichtel. Und Cecilie Løveid sagte: „Unglaublich, was alles in einem Wort liegen kann.“ Sie als gefeierte Poetin muß das schließlich wissen!

Das Wichtelgedicht steht im Buch. Und auch das Gedicht „Strafe“ (in dem es darum geht, welche Strafe für den Massenmörder Anders Bering Breivik wirklich angemessen wäre). Und bei den anderen, die für dieses Buch übersetzt haben, ist eine ganz neue Übersetzerin dabei: Pia Camphausen, und es freut mich wahnsinnig, unsere Namen gleich hintereinander zu lesen, weil wir nämlich verwandt sind, und so bleibt alles in der Familie.

Das Buch: Hinter dem Regen. 12 literarische Stimmen aus Bergen. Hrsg. von Bergen Kommune

Cecilie Løveid auf Deutsch: Sog oder das Meer unter den Brettern, Claassen Verlag, 1984
und: Dame mit Hermelin, Popa Verlag, 1986, beide übersetzt von Astrid Arz

 

Ein Beitrag zum Thema „Buchherstellung“, Schwarzaufweiss Evelyn Kuttig


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Gabriele Haefs

Gabriele Haefs

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