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Karon Alderman: Wozu das Ganze?

Karon Alderman – Foto © privat

Karon Alderman hat an der Universität von Newcastle Englisch studiert und unterrichtet Englisch für Erwachsene. Sie macht derzeit eine Ausbildung zur Spezialistin für Legasthenie. Sie hat immer schon geschrieben, ernsthaft schreibt sie seit 2007.

Diese Geschichte ist zuerst in der Zeitschrift Mslexia erschienen. Ich bin eine begeisterte Leserin von Mslexia und habe schon mehrmals Geschichten daraus übersetzt, die dann auch auf Deutsch erschienen sind.

Ausgabe 2017 – mit einer Geschichte der schottischen Autorin Margaret Morton Kirk, übersetzt von Gabriele Haefs
Ausgabe 2018 – mit einer Geschichte der irischen Autorin Maureen Boyle, übersetzt von Gabriele Haefs

Als ich diesen Text von Karon Alderman las, dachte ich, das ist ein Gefühl, das kennen wir doch alle … Und sie schreibt so ermutigend und so unverzagt, das hat mich sehr beeindruckt, und ich dachte, das müssen auch andere lesen können!  Und so habe ich mich auf die Suche nach der Autorin gemacht und gefragt, ob ich ihre Geschichte übersetzen und ob sie hier im Blog erscheinen darf. – Beides macht Freude, der Kontakt zu ihr und das Übersetzen.

Karon Alderman: Wozu das Ganze

Neulich hat mich jemand gefragt, wozu schreibst du überhaupt, wenn du doch nicht veröffentlicht wirst?

Ich hätte ganz locker sagen können, daß ich zweifellos verrückt bin oder einen pathologischen Drang habe, mich auszudrücken, oder daß ich mir einen Traum erfüllen muß – ich hätte sogar mit den Schultern zucken und behaupten können, daß ich auf Abweisungen stehe. Aber das alles habe ich nicht gesagt. Mir ist schon klar, daß es seine Frage ist, die viele Menschen in meinem Leben vermutlich gedacht, aber niemals so deutlich ausgesprochen haben. Ich ertappte mich bei dem Versuch zu erklären, warum ich immer weiter an meinen Romanen und Kurzgeschichten arbeite, wenn es mir so selten gelingt, sie an Agenturen und Verlage zu schicken, und wenn es denen so selten gelingt, sich für meine Sachen zu entscheiden.

Freunde unterstützen mich, staunen aber auch: „Du sitzt viele Wochen daran, und dann läßt du dein Werk ein Jahr lang abhängen, und danach bist du drei fieberhafte Wochen dabei, es zurechtzufeilen und bei einem Wettbewerb oder einer Zeitschrift einzureichen, und dann wirst du abgelehnt – warum tust du dir das an?

Sie begreifen nicht, warum ich versuche, noch mehr Abgabefristen, Druck und Streß in ein ohnehin schon hektisches Leben zu stopfen. Wenn wir uns auf einen Kaffee treffen, dann fliehen sie vor Arbeit oder Bergen von Korrekturen oder dem Großeinkauf – und ich bin … zerrissen. Ich möchte sie treffen und quatschen, aber ich muß arbeiten.

„Was ist das denn für Arbeit?“, fragen sie. „Arbeit-Arbeit oder Schreib-Arbeit?“ Damit meinen sie, unbezahlte Arbeit. Viele meiner Freunde arbeiten neben ihrem Beruf auch ehrenamtlich, die Vorstellung, auch ohne Bezahlung zu arbeiten, ist also akzeptiert. Aber ehrenamtliches Engagement ist nützlich, oder? Während mit Schreiben niemandem geholfen ist.

Ab und zu gewinne ich einen kleinen Preis und alle freuen sich für mich. „Wann kommt denn das Buch?“, fragen sie, denn das muss doch logischerweise der nächste Schritt sein. Wenn es nur so einfach wäre.

Manchmal tun wir etwas einfach, weil wir es können. Der Bergsteiger Sir Edmund Hillory hat gesagt, er habe den Mount Everest besteigen wollen, „weil es ihn gibt.“ Und deshalb schreibe ich: weil es die Wörter gibt. Ich greife nach den Zeichen, die sich zu Formen zusammensetzen lassen, die über Zeit und Raum hinweg einen Sinn ergeben, durch den ihr sehen könnt, was ich sehe. Ich kenne den Code. Als Kind der Arbeiterklasse wurde ich zu einem unglaublichen Zeitpunkt in der Geschichte geboren, einer Zeit von Gratis-Schulbildung. Im Laufe der Zeit haben viele Mädchen und Kinder am unteren Ende der Gesellschaftspyramide keine solche Chance erhalten, viele bekommen sie noch immer nicht. Also schreibe ich, weil ich es kann. Und nur, weil meine Arbeiten noch niemandem so gut gefallen haben, dass sie die unbedingt veröffentlichen wollen, ist mein Recht zu schreiben doch nicht aufgehoben!

Natürlich wäre es umwerfend, veröffentlicht zu werden. Wie grandios, das zu tun, was man liebt, und dann auch noch so gut bezahlt zu werden, daß man davon leben kann … aber andererseits, was ich sonst noch mache, färbt auf mein Schreiben ab. Ich habe den Ausdruck „Portfolio-Karriere“ gehört. Ich glaube, ich habe ein „Portfolio-Leben“. Fehlendes Selbstvertrauen, die Notwendigkeit, meinen Lebensunterhalt zu verdienen, Mobbing und falsche Entscheidungen – sicher können die meisten von uns im Rückblick sehen, wie diese Dinge uns auf einen verschlungenen Pfad weg von dem geführt haben, was wir wirklich tun wollten.

Für ein Mädchen von meiner Herkunft schien es keinen Weg in ein Leben als professionelle Schriftstellerin zu geben. Aber ich habe trotzdem immer weitergeschrieben. Ich war gut im Beginnen, aber schlecht im Beenden. Die Ideen sprudelten nur so, aber die Disziplin, weiterzumachen, fehlte. Ich war keine Schriftstellerin, ich war eine Frau, die schrieb. Doch dann sah ich eines Tages eine Anzeige für einen Wettbewerb, und eine Stimme in meinem Kopf fing an zu reden, und ich konnte sie nicht zum Schweigen bringen. Ich saß auf dem Etagenbett meines Kindes und schrieb und schrieb. Am Ende der Woche hatte ich einen ganzen Kinderroman geschrieben. Der Roman gewann bei dem Wettbewerb den zweiten Preis. Ich beschloß, daß ich endlich Schriftstellerin war. Ich war nur noch nicht veröffentlicht …

Seit damals habe ich noch fünf Romane geschrieben, aber bisher ist keiner davon veröffentlicht worden. Aber müssen wir wirklich veröffentlicht werden? Emily Dickinson hat das nicht getan, wenn das auch ihre Entscheidung war, und nicht, weil ihre Arbeiten abgelehnt worden wären, und doch können wir sie uns nicht anders beschrieben vorstellen als eben als Schriftstellerin. Aber können wir uns wirklich selbst als Schriftstellerin bezeichnen, wenn wir nicht anerkannt sind, nicht veröffentlicht? Kann jemand Malerin sein, wenn sie niemals ausstellt oder verkauft, oder Musikerin, wenn sie nur allein zu ihrem Vergnügen spielt? Und ich würde sagen, ja, denn es ist der Prozeß, der zählt, nicht das Produkt; die Arbeit zählt, die Kreativität, nicht irgendein mit Klebeband zusammengehaltener Müll, der überhaupt nicht aussieht wie ein Raumschiff … Aber.

Bei diesem „aber“ geht es um Teilen. Zu hören, wie andere über mein Werk denken, was ihnen gefällt/nicht gefällt, ist ermutigend oder niederschmetternd, es regt zum Denken an und kann sogar neue Ideen entstehen lassen … teilen kann berauschend sein. Ich erinnere mich an positive Kommentare, kürzlich bei einer Lesung von Kriminalgeschichten, als jemand begeistert darüber spekulierte, „was als nächstes passiert“. Ich definiere mich als Schriftstellerin, wenn auch als unbezahlte, und ich teile, wann ich kann.

Ich muss mein Schreiben in die Lücken zwischen Broterwerb und Familienverpflichtungen quetschen, aber ich mag Schreiben nicht als „Hobby“ bezeichnen. Das Wort an sich ist das Problem. Es klingt herablassend, kindlich, ein Steckenpferd, das man reitet, ist nicht das echte schweißnasse, muskulöse Tier. Mir gefällt die Vorstellung von Teilzeit. Ich habe eine halbe Stelle als Lehrerin und sinke deshalb doch nicht in meiner Achtung. Leute in Teilzeit leisten großartige Arbeit. Ich weiß außerdem, daß viele veröffentlichte AutorInnen ihr Brot vor allem mit Unterrichten, Workshops und allerlei Veranstaltungen verdienen.

Manchmal sage ich: „Ich schreibe in meiner Freizeit.“ Aber das stimmt auch nicht. Es ist keine freie Zeit. Es gibt eine Million anderer Dinge, die ich in dieser Zeit tun könnte (und vielleicht sollte), aber ich habe mich hierfür entschieden. Und wenn es nicht hilft, die Miete zu bezahlen, na und? Niemand sagt, „ich laufe nicht mehr, weil ich niemals einen lukrativen Sponsorenvertrag an Land ziehen werde, wenn ich beim Frauenlauf gegen Krebs immer nur auf Platz 206 lande“, oder „ich könnte meinen Garten auch gleich zubetonieren, meine Rosen holen ja doch nie einen ersten Preis auf einer Gartenschau.“

Als ich mir das alles überlegte, fiel mir etwas ein, das meine Schwester einmal gefragt hat. Meine Tochter sollte mit einem Jugendorchester nach Singapur reisen, und ich zerbrach mir vermutlich den Kopf über den Preis und darüber, ob ihre Geige den Flug heil überstehen würde. „Was soll denn dabei herauskommen?“, fragte meine Schwester unschuldig. „Was soll das alles, wenn sie doch keine Berufsmusikerin werden will?“

Ich brauchte gar nicht erst zu überlegen: „Was bringt denn überhaupt irgendwas?“ Ich antwortete. „Was bringt es denn, zum Sport zu gehen oder deine eigenen Weihnachtskarten herzustellen? Muß alles zu einem Ergebnis führen, mit einem Arbeitsplatz oder einer Karriere enden?“

Als ich später diesen Teenagern beim Musizieren zuhörte, war das in dem Moment schön und konnte das nur in dem einen Moment sein. Diese jungen Leute könnten dieses Musikstück an diesem Ort niemals wieder so spielen. Manchmal muß man einfach das Erlebnis genießen. Es spielt keine Rolle, was danach passiert, es geht darum, diese Musik zu spielen und sie jetzt zu genießen. Das meiste, was wir tun, führt eigentlich zu nichts. Im Leben geht es nicht darum, wohin wir gelangen, sondern wie.

Ich schreibe also, weil ich das kann und weil ich das Schreiben liebe, den Prozeß des Schreibens. Ich gehe vorbei am Supermarkt, der neben dem Friedhof liegt, und dort ist niemand. Aber in meiner Vorstellung steht eine junge Frau von einem Grab auf und rennt los, rennt auf die Hauptstraße zu, weicht den Autos aus, verschwindet in der Wohnsiedlung. Und ich kann es gar nicht abwarten, nach Hause zu kommen und ihre Geschichte zu erzählen. Oder ich gehe am Strand entlang und sehe eine weiße Plastiktüte, die im scharfen Wind über den Sand jagt, und ich frage mich, was sie enthält, als die Möwen landen und ziehen und zerren … und ich gehe zurück zum Haus meiner Mutter und lege mich aufs Bett, während die Kinder eine DVD sehen, und ich schreibe darüber, wie ich die Tüte öffne und zwei graue Augen mich daraus anstarren …

Es ist wunderbar, wenn jemand meine Sachen liest und gut findet. Es ist phantastisch, wenn, wie es einige Male passiert ist, etwas gedruckt wird. Aber wenn ich mir die Dokumente in meinem Laptop ansehe, die noch niemand veröffentlichen oder auch nur lesen wollte, dann weiß ich, ich werde trotzdem weiterschreiben. Ich werde zum Strand gehen, mit einer Freundin Kaffee trinken, Musik hören. Und ich werde schreiben. Es hat keinen Sinn. Und das ist eben der Sinn der Sache.

Veröffentlichung und noch nicht Veröffentlichtes:

„Stella Starbright, über Verlust, Freundschaft und … einen kleinen Hund“ wurde mit dem Andrea Badenoch Award 2017 ausgezeichnet.
„The Millionaire’s Wife“ (Kurzgeschichte), erschienen in: Northern Crime One (Moth Publishing 2015)

Das Kinderbuch „For Keeps“ wurde 2012 mit dem Northern Promise Award gekrönt, und Karon hat vier weitere Romane für Kinder zwischen 9-13 geschrieben, u. a. „The Story Thief“, das 2010 den zweiten Preis Lincoln Diverse Voices Fiction Award erhielt. Nichts davon ist bisher veröffentlicht. Sie schreibt außerdem Kurzgeschichten für Erwachsene, viele spielen in der Vergangenheit und an sehr unterschiedlichen Orten, wie dem Marschland von Essex oder dem London der 50er Jahre, und sie arbeitet derzeit an einem Kriminalroman.

Ein Beitrag zum Thema „Buchherstellung“, Schwarzaufweiss Evelyn Kuttig


Ich freue mich, wenn Sie diesen Beitrag weitersagen:
Gabriele Haefs

Gabriele Haefs

2 Gedanken zu „Karon Alderman: Wozu das Ganze?“

  1. Oh ja, ich lese, lese, lese … Der reinste Genuss, ohne den ich nicht leben könnte. Ich lese, weil es mich berührt, denn Welten tun sich auf, meine Gedanken fließen oder geraten ins Stolpern, und neue Zusammenhänge ergeben sich. Und manches Mal staune ich bei ganz und gar verquickten Geschichten über die Klarheit des Denkens, das dahinter steckt.

  2. Das ist wirklich ein wichtiger Beitrag! Vielen Dank! Mir geht es ja ähnlich. Wenig veröffentlicht. Aus Liebe zum Wort Journalistin geworden. Damit Geld verdient. Broterwerb. Weiter Gedichte geschrieben. Weiter die Liebe zum Wort gepflegt. Immer weiter. Jetzt bin ich 71 Jahre und nicht viel weiter. Im Schreiben schon. Im Veröffentlichen kaum. Trotzdem: mehr Lust als Frust. Es geht ums Machen, um den kreativen Prozess, ums Augen offenhalten, mit Worten festhalten, was sie sehen, was ich sehe, was wir sehen oder auch nicht sehen. Manchmal gibt Sprache auch Rätsel auf. Genug ist für mich ein Unwort. Ich kann gar nicht genug bekommen. Vom Schreiben. Vom Lesen. Von der Liebe zum Wort.

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