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Meine Abenteuer beim Übersetzen, 33: Weil ich Sigrid Undset übersetze …

Nobelpreisträgerin Sigrid Undset
Foto: 1928

Weil ich Sigrid Undset übersetze, kam eine Einladung aus Norwegen – ob ich bei der Jahrestagung der Sigrid-Undset-Gesellschaft über das Übersetzen ihrer Werke erzählen könnte. Die Tagung findet statt in Lillehammer, wo Undset viele Jahre gewohnt hat; ihr Haus ist jetzt ein Museum und eben auch Tagungsstätte. In derselben Woche gibt es in Lillehammer das größte norwegische Literaturfestival, logischerweise Undset-Tage genannt. Also, gefreut, Notizen gemacht, Rucksack gepackt und losgereist.

Das erste große Erlebnis gleich beim Einchecken am Flughafen: Der Scanner piepte, mein Rucksack wurde vom Band genommen und der verdächtige Gegenstand entnommen: Sigrid Undsets „Ida Elisabeth“, eine Ausgabe von 1934. Allerlei Sicherheitspersonal stand drum herum, blätterte, rief die Kolleg:innen herbei, und ich biss mir auf die Unterlippe: Was konnte denn da so Schreckliches stehen, dass sogar der Scanner reagiert? Aber dann sagte die eine Sicherheitsfrau zu mir: „Das ist ja die alte Schrift!“ – „Ja, ja“, riefen die Umstehenden, „die alte Schrift ist das. Schaut mal“ (an weitere gerichtet), „die alte Schrift“. Gut, es wäre noch schöner gewesen, hätten sie alle ehrfürchtig gerufen: „Ein Buch von Sigrid Undset“, aber man kann nicht alles haben, und es war ein aufregender Auftakt der Reise und eine schöne Geschichte, die ich der Undset-Gesellschaft erzählen konnte. Worauf der Scanner wirklich reagiert hatte (doch wohl nicht auf die Fraktur?), wollten die Sicherheitsleute mir übrigens nicht verraten.

Haus und Garten von Sigrid Undset mit Gabriele Haefs – Foto © Gabriele Haefs
Compton Mackenzie in der Bibliothek von Sigrid Undset entdeckt – Foto © Gabriele Haefs
Blumen aus Undsets Garten – Foto © Gabriele Haefs

In Lillehammer bekam ich eine Privatführung durch Sigrid Undsets Haus. Natürlich war ich schon früher dort gewesen, aber normalerweise darf man es nur im Rahmen einer Führung besichtigen, und es ist etwas ganz anderes, ganz allein zu sein, alles in Ruhe ansehen und alle Fragen loswerden zu können. In Sigrid Undsets Sessel zu sitzen (und zu denken: Kommt jetzt ihr Geist über mich? Leider kam er nicht). Ihre Bibliothek zu inspizieren. Zu erfahren, nach welchem System sie ihre vielen Bücher sortiert hatte. In einem Raum befanden sich Bücher von Autoren, die zum Katholizismus konvertiert sind, die waren ihr wichtig, weil sie ja selbst konvertiert war – vor hundert Jahren in Norwegen ein skandalöser Schritt und typisch für eine Autorin, die sich immer zwischen alle Stühle setzte, ob sie nun auf offener Straße mit einer Freundin Schnaps trank (gehört sich nicht für eine Dame) oder eben konvertierte (gehört sich nicht im lutherischen Norwegen). Und ich fragte behutsam: „Ob sie wohl auch Bücher von Compton Mackenzie hatte?“ Sie hatte! Dass also eine Lieblingsautorin einen Lieblingsautor im Bücherschrank hat, ist das nicht wunderschön? (Hier geht es zu meinem Blogbeitrag von 2018 über den Klassiker Compton Mackenzie) Und ich durfte mir ein paar Blumen aus ihrem Garten mitnehmen – sie brachte offenbar von jeder Reise Ableger für ihren Garten mit. Die Blumen, die jetzt in dem frisch erworbenen Buch mit ausgesuchten Zitaten liegen, haben also Ahninnen, die Sigrid Undset mit eigenen Händen eingepflanzt hat!

Außerdem erfuhr ich, dass es noch gar nicht so lange her ist, dass Sigrid Undset in Norwegen kaum noch gelesen wurde. Etliche der tonangebenden alten Säcke (wenn ich keine Namen nenne, ist diese absolut zutreffende Umschreibung doch erlaubt?) waren zu der Erkenntnis gelangt, sie sei wirklich nicht zeitgemäß und auch keine große Literatur (Nobelpreis hin oder her, der kann ja leicht mal an die Falsche geraten), denn sie schreibe vor allem über Frauen, hieß es, ihre Bücher seien folglich nicht von allgemein menschlichem Interesse, und außerdem sei sie konservativ gewesen – dass keiner ihrer Kollegen damals so energisch vor Hitler und dem Nationalsozialismus warnte wie sie, wen schert sowas schon. Es wurde sogar vorgeschlagen, das Festival umzubenennen – aber das ging dann doch zu weit, schließlich findet es in Lillehammer statt, wo sie gewohnt hat, und so viele Nobelpreisträgerinnen hat Norwegen ja auch nicht (also genauer gesagt, nur eine. Dazu zwei Männer, die mit diesem Preis ausgezeichnet wurden, Bjørnstjerne Bjørnson, der einen Ort weiter wohnte, und Knut Hamsun, Undsets Erzwidersacher). Weshalb das Festival den Namen behalten durfte. Und dann ließ sich ein alter Sack überreden, doch wenigstens etwas von ihr zu lesen. Bei seinem nächsten Auftritt hatte er Kreide gefressen und war zutiefst beeindruckt von ihrer erzählerischen Kraft und ihren scharfsinnigen und oft witzigen Menschenschilderungen. So irritierend es auch sein mag, dass erst ein alter Sack widerrufen muss, nun wird in Norwegen wieder viel Undset gelesen, viel und immer mehr. Derzeit, wie ich bei der Tagung erfahren habe, werden ihre Werke in einundzwanzig Sprachen neu übersetzt.

Das war alles ungeheuer lehrreich, spannend und motivierend. Und mein Vortrag? Darüber erzähle ich demnächst an dieser Stelle, wenn ich nämlich mit meiner aktuellen Undset-Übersetzung fertig bin und ganz viele Beispiele anführen kann.

Ein Beitrag zum Thema „Buchherstellung“, Schwarzaufweiss Evelyn Kuttig


Ich freue mich, wenn Sie diesen Beitrag weitersagen:
Gabriele Haefs

Gabriele Haefs

2 Gedanken zu „Meine Abenteuer beim Übersetzen, 33: Weil ich Sigrid Undset übersetze …“

  1. Liebe Gabriele,

    nun habe ich eine Entdeckung gemacht. Ich lese seit vorgestern mit wachsender Gespanntheit den von Dir und Nils Hinnerk Schultz übersetzten Krimi „Kalte Herzen“ von Gunnar Staalesen mit dem interessanten Privatermittler Varg Veum, von dem es bisher 19 Ermittlungen, also Krimis, gibt, wie Carsten Germis im Nachwort anführt.
    Dass es die deutsche Erstausgabe von 2022 vom Polar Verlag des schon 2008 in Norwegen erschienenen Werks ist und Frank die Verfilmung von 2012 gesehen hatte und deshalb dieses Buch kaufte, erwähne ich mal so nebenbei.
    Hast Du Dich gemeinsam mit anderen für die deutsche Erstveröffentlichung stark gemacht wie Du es ja auch bei anderen Autor:innen zuwege brachtest und Dich weiterhin dafür einsetzt?

    Dieser Gedanke kam mir, als ich auf Seite 110 die Beschreibung eines „etwas altmodischen Wohnzimmers“ eines von Veum aufgesuchten Geistlichen las, in der es u.a. heißt: „In einem Regal sah ich mehrere Bücher von religiösem Charakter, eine großformatige, in rotes Leder gebundene vierbändige Ausgabe der Bibel und allerlei norwegische Klassiker: Ibsen, Kielland, Lie, Bjørnson, Hamsun, Falkberget und Sigrid Undset.“ Wow, dachte ich 😉

    Liebe Grüße
    Evy

  2. Liebe, sehr geehrte Frau Haefs!
    Die »Alte Schrift« lässt die Alarmglocken schrillen? Ein Erlebnis, das doch geradezu nach Nachrecherche schreit! Ich mache mich später mal auf die Socken …

    Ich weiß gar nicht, wie viele von Ihnen übersetzte Bücher ich bisher gelesen habe – Asa Larsson, Anne Holt, das sind jene, an die ich mich mit großem Vergnügen erinnere. Danke dafür, herzliche Grüße

    johannes flörsch

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