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Entwicklungslinien von Buch, Thema und Autorin. Oder: Was passieren kann, wenn jemand eine Sachbuch-Trilogie schreibt – von Maria Al-Mana

Ein Beitrag von Maria Al-Mana,  Buchhebamme und Texthandwerkerin

Maria Al-Mana, die Überlegende © Foto: privat

Die Vorgeschichte

Das Thema Eigensinn als Trilogie veröffentlichen zu wollen, war von Anfang an eine verwegene Idee. So viel über ein einziges Thema? Wird das tragen? Ich war mir sicher: ja, wird es.
Band eins und zwei entstanden mit Schwung, entwickelten eine sinnvolle, innere Logik. Und zwischen ihrem Erscheinen lag kein halbes Jahr. Das war toll, nichts und niemand konnte mich bremsen. Ich hatte sorgfältig sortiert: Im ersten Band die Grundlagen des Eigensinns – vor allem mit Bezug auf das Lesen und Schreiben. Ein eher theoretischer Ansatz, aber notwendig – das gab es bisher nämlich wirklich nirgendwo. Titel: „Mein Kompass ist der Eigensinn.“ Der zweite Band wurde praktischer: „Wer schreibt, darf eigensinnig sein.“ O ja – das dürfen und sollten wir alle sein, nicht nur beim Schreiben.
Arbeitstitel von Band drei lautete: „Eigensinn verbindet.“
Und dann kam mein Einbruch. Er war nicht vorher abzusehen. Oder etwa doch?!

Wir schreiben nie im luftleeren Raum …

Band zwei erschien fast zeitgleich mit dem „offiziellen“ Ausbruch der Corona-Epidemie, März 2020. Ich kann mir Zahlen nur schlecht merken – aber die werde ich wohl nie vergessen. Denn da bin ich komplett eingeknickt – in vielerlei Hinsicht. Das Virus hat mich noch nicht einmal erwischt, jedenfalls nicht körperlich. Und doch war ich mehr als einmal wie gelähmt. Denn es traf fast sofort den wunderbaren Mann einer Ex-Kollegin. Er starb an Corona. Ich kenne die ganze Familie. Und es war fürchterlich.
Wer unter so einem Schock steht und dann auch noch hört, dass es Menschen gibt, die die Existenz dieses Virus’ frech und ohne jede Ahnung von irgendetwas einfach leugnen …
Wer registrieren muss, wie Menschen gegeneinander ausgespielt werden, Jüngere gegen Ältere, Geimpfte gegen die, die weder geimpft sind noch eine Notwendigkeit dazu sehen …
Wer sieht, wie dieses Gegeneinander-Ausspielen zu etwas wird, das Menschen sich ohne Not in immer heftigerer Form gegenseitig antun, verletzen … wie solche Menschen dann auch noch jene körperlich angreifen, die helfen oder vermitteln wollen …
Wer zusehen muss, wie sich stellenweise blanker Hass breitmacht …
… Wer das alles erlebt – und selbst schon halbwegs kopfüber in einem depressiven Schub hängt, weil soziale Kontakte mehr und mehr wegbrechen – der muss unter Umständen sein ganzes Menschenbild revidieren.
Dann kam der Ukrainekrieg. Und mir begegnete die Künstliche Intelligenz … Meiner Ansicht nach eine Vollkatstrophe für jede Form von Kreativität. Doch darüber lässt sich noch am ehesten streiten, da haben wir vielleicht wenigstens ansatzweise eine Chance, uns zur Wehr zu setzen, uns zu verweigern. Bei Corona und Krieg? No way. Ach ja, die Remigration würde mich mit Sicherheit auch noch treffen, und von der Klimakatastrophe spreche ich erst gar nicht.
Stopp! Denn das bin ich eigentlich überhaupt nicht. 64 Jahre lang habe ich aus so vielem, was scheußlich war, immer einen Ausweg gefunden. Und darüber meinen Eigensinn entwickelt. Doch ich hatte noch nie den Eindruck, dass so viele Faktoren weltumspannend, absolut unumgänglich, ohne Flucht- oder Aus-Weg und vor allem gleichzeitig auf mich zurollen. Das hat mich lahmgelegt.
Das war sozusagen die globale Entwicklung aus meiner Sicht, bewusst möglichst kurz skizziert.

Was hat das alles mit Eigensinn zu tun?!

Gute Frage! Sie hat mich drei Jahre lang fast täglich verfolgt …
Mag komisch klingen. Aber die Tatsache, dass ich mich für den Eigensinn stark mache, bedeutet ganz und gar nicht, dass ich kein soziales Wesen bin. Dass ich stur und/oder egoistisch allein vor mich hinrennen würde. Mal abgesehen davon, dass ich das gar nicht könnte – Eigensinn zielt nach meiner Definition ganz woanders hin: Wer seinen Eigensinn gefunden hat, wird ihn respektieren. Und meiner Ansicht nach ist es dann zwangsläufig, auch den Eigensinn anderer Menschen zu respektieren. Meine Idealvorstellung war, dass daraus eine Art unterirdisches Wurzelwerk entstehen kann, über das wir alle uns gegenseitig respektieren – oder das zumindest lernen.
Ja, ich bin eine hoffnungslose Idealistin. Das weiß ich schon lang. Und dazu stehe ich – ganz bewusst, oft auch bewusst gegen alle Widerstände und scheinbaren Gegenbeweise.
Ja, ich glaube, dass Menschen nicht von Natur aus „schlecht“, zerstörerisch oder bösartig sind. Aber sehr wohl dazu „gemacht“ werden können. Je nachdem, was sie erleben, was sie erfahren müssen. Und in meiner Idealvorstellung ist der Eigensinn eine Erfahrung, die trägt, stärkt, den richtigen Weg finden und sich der (Selbst-)Zerstörung entgegenstellen kann.
Ja, ich wusste immer schon, dass meine „Idealvorstellung“ ein sehr fragiles Gebilde ist. Aber es entsprach – und entspricht! – meinem Eigensinn, an ihm festzuhalten.
Jetzt aber schien eine Grenze erreicht. Nach alldem, was ich oben die „Einbrüche“ genannt habe, konnte ich mir nicht mehr vorstellen, den dritten Band meiner Trilogie wie geplant zu schreiben. Eigensinn verbindet?! Ich meine damit sowohl einen Heilungsprozess wie das In-Verbindung-Treten oder -Bleiben. Geht das? Wie viel Idealismus verträgt ein Buch?

Trilogie?! Sollte gut überlegt sein!

Ich hab mich wirklich verflucht … Warum nur musste es eine Trilogie werden?! Weil ich es überall angekündigt habe. Weil ich mir selbst treu bleiben möchte.
Doch die Idee einer Trilogie kann nur dann ohne Brüche funktionieren, wenn sich die Grundbedingungen nicht wesentlich ändern – und das ist auch als deutliche Warnung an die Adresse aller (angehenden) Autor:innen zu verstehen!
Bei mir haben sich die Grundbedingungen insofern geändert, als ich zwar bei meinem eigensinnigen Idealismus bleibe – denn etwas anderes macht für mich schlicht keinen Sinn –, solche Gedanken aber nicht mehr ohne leise Zweifel unter Menschen bringen kann.
Da ist was passiert. Mit mir und damit mit meiner Haltung dem Buchthema gegenüber. Ich habe mich in diesen drei Jahren verändert. Und zwar nicht, weil es so lang gedauert hat. Sondern es hat so lang gedauert, weil ich mich verändert habe. Verändern musste. Das will und werde ich zulassen, ganz eigensinnig …

Maria Al-Mana, die Wissende © Foto: privat

Veränderungen von Buchthema und Autorin

Keine Sorge, das Beschriebene hat mich nicht komplett umgehauen. Und es haben sich auch nur Nuancen verändert, in mir und für mich. Die aber waren wichtig, damit mein drittes Buch entstehen konnte.
Letzten Endes bin ich zu einem Weg zurückgekehrt, der sich für mich schon oft als hilfreich erwiesen hat: stell Fragen! So viele wie möglich, so uneitel und neugierig wie möglich. Genau das habe ich getan. Und ich habe das sehr ernst genommen. Bedeutet zwar eine weitere Zeitverzögerung – aber das stört mich nicht.
Statt eine Behauptung in den Lese-Raum zu werfen („Eigensinn verbindet“), habe ich nun gefragt: Wie lebt ihr euren Eigensinn? Mögt ihr davon erzählen?

Mein wunderbares Netzwerk

Ich habe alle Menschen aus meinem Netzwerk gefragt: Seid ihr eigensinnig? Und wenn ja, wie lebt ihr euren Eigensinn?
Ich habe auch gefragt, ob jemand Tipps hat für Menschen, die als eigensinnig gelten können. Oder sich sogar selbst so bezeichnen. Habe mein Gedächtnis durchwühlt: Wer ist denn für mich eigensinnig? Eine kleine Auswahl gab es da von Anfang an … Und am Ende haben fast alle zugestimmt, die ich in die engere Auswahl genommen habe. Das war unglaublich toll – tausend Dank an mein wunderbares Netzwerk!
Und hier die alphabetische Liste all dieser eigensinnigen Menschen:  Michael Braungart, Claudia Dabringer, Ruth Frobeen, Annefried Hahn, Geertje Jürgens, Angelika Kindt, Etelka Kovacs-Koller (du hörst es – ich weiß es genau!), Jana Mänz, Maren Martschenko, Annette Mertens, Hans Mörtter, Daniela Pucher, Astrid Stockinger, Tommie, Sandra Uschtrin. Sie alle werden ihren Raum in meinem neuen Buch haben.

Gelebter Eigensinn – Gespräche, Erinnerungen und Gedanken. Ein Streifzug

Das ist der endgültige Buchtitel. Und er beschreibt exakt, was in Band drei meiner Trilogie des Eigensinns zu lesen ist.
Es ist kein Interview-Buch. Es geht um das eigeninnig mäandernde Erzählen. Ich mäandere dabei am meisten … Ich mag das. Sehr sogar. Es war allerdings auch notwendig, denn: Wie bringt man 15 eigensinnige Stimmen sinnvoll zwischen zwei Buchdeckel, ohne dass alles auseinanderbricht?
Schnell ist mir klargeworden: Ich muss der Kitt sein, die Klammer. Ich erzähle also auch von mir, meinem Weg des Eigensinns. Und von schwierigeren Aspekten, von Zweifeln, manchmal auch Verzweiflung. Das war am Ende weitaus mehr Persönliches als ich anfangs geplant hatte. Das Buch – und meine eigene Entwicklung – haben es so gefordert.
Und hier schließt sich ein Kreis. Damit weiß ich, dass es richtig war …: Den Aspekten des Zweifelns hätte ich ohne die ansatzweise beschriebene Vorgeschichte dieser drei Jahre bestimmt nicht so viel Raum gegeben, wie es jetzt der Fall ist. Inzwischen finde ich genau das gut und richtig. Eigensinn darf, nein: muss schließlich auch immer wieder Zweifel aushalten können.

„Gelebter Eigensinn“ veröffentlicht bei tredition

Weitere Websites von Maria Al-Mana: https://edition-texthandwerk.de – https://unruhewerk.de/

 

Ein Beitrag zum Thema „Buchherstellung“, Schwarzaufweiss Evelyn Kuttig

Auf diesem Blog schon erschienen: „Wie ich zum Buchthema EIGENSINN kam“:  1. Über Unbehagen und Wut2. Übers Bloggen, Älterwerden und Anders-Sein3. Wie aus der Buchidee eine Trilogie wird

 


Ich freue mich, wenn Sie diesen Beitrag weitersagen:
Evelyn Kuttig

Evelyn Kuttig

Ich arbeite(te) als Grafikdesignerin, Projektmanagerin, Rechercheurin, Redakteurin und Texterin. – Das Blog enthält Berichte aus meinem Arbeitsalltag und Gastbeiträge aus vielfältigen Arbeitsfeldern, die zur Entstehung von Büchern beitragen. – Auch im Ruhestand stehe ich Interessierten mit meinen vielseitigen Kenntnissen und Erfahrungen und psychologischem Gespür immer noch gerne mit Rat und Tat und Empfehlungen zur Seite.

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